Eine Inschrift ziert über einer Sonnenuhr das Dach der Villa Romana in Florenz. In Versalien steht dort NULLA DIES SINE LINE, was soviel bedeutet, wie KEIN TAG OHNE LINIE. Der Stab der Sonnenuhr wirft einen langen Schatten auf die Ziffern der Uhr – beschreibt der darüberstehende Satz die Schattenlinie?
Die Villa Romana ist seit über einhundert Jahren eine der bekanntesten deutschen Künstlerresidenzen im Ausland. Gegründet wurde diese Institution von dem bekannten Maler Max Klinger und seinen Künstlerfreunden vom Deutschen Künstlerbund. Hier sollten junge Künstler einen Ort für künstlerische Produktivität unabhängig von staatlicher Förderung erhalten.
Jedes Jahr beherbergt die Villa Romana seitdem zumeist vier Preisträger. Zeichner, Bildhauer und Maler, Künstler in allen Gattungen der bildenden Kunst. Viele dieser Künstler sind heute berühmt: zum Beispiel Max Beckmann, Käthe Kollwitz, Georg Baselitz oder Markus Lüpertz waren hier. An einem solchen Ort ist die Inschrift NULLA DIES SINE LINE wohl eher mit einer weiteren, poetischen Bedeutung gesetzt worden.
Der Garten der Villa Romana ermöglicht am oberen Ende einen Ausblick auf die Stadt. Genau zwischen zwei Zypressen hindurch kann man auf die Hauptkuppel des Florentiner Doms blicken. Unterhalb der Kuppel ist ein rundes Fenster – von diesem Ort erscheint das riesige Element wie ein kleiner Punkt.
Die Rasenmäherzeichnung visiert diesen Punkt in der Ferne an. Begeht man die gerade Linie, die sich wie ein Weg den Garten hinab zieht, so verbleibt das runde Fenster die ganze Zeit im Blickfeld des Betrachters. Etwa in der Mitte der Linie durchquert man dabei die zentrale quadratische Form der Rasenmäherzeichnung mit 10 Meter Länge und Breite. Das Quadrat ist leicht aus der Flucht gedreht. Typographische Elemente und Fragmente ordnen sich hier um die durchquerende Achse. Die Linie löst etwas aus, wenn sie durch die Fläche stößt. In der Unordnung gibt es auch Ordnung. Und Bedeutung. Die Fragmente beziehen sich auf die Worte oberhalb der Sonnenuhr, wenn man genau hinschaut entdeckt man die Buchstabenzwischenräume von NULLA DIES SINE LINE.
Florenz war in der Renaissance ein Schmelztiegel für die Künste – bis heute hat das Gewicht, das zeigen nicht nur die Kulturschätze, sondern auch die Touristenströme und Warteschlangen in der Innenstadt. Die Kunst der Vergangenheit funktioniert bis heute, die Stadt gleicht einem gewaltigen Museum.
Die Aufmerksamkeit vieler Augen dieser Stadt sind eher auf das gerichtet, was war. Die Blüte der Renaissance verbleibt durch ihre Virtuosität jedoch auch wie eine einzigartige Herausforderung an die heutigen Künstler. Und insofern könnte man den Satz auch anders übersetzen, als ein lebensfrohes, kunstbegeistertes, zukunftsbejahendes und mitreißendes: STOPPE NICHT! WER STOPPT, DER IST VERLOREN!
Das Projekt wurde initiiert von Anna Lambertini / AIAPP in Zusammenarbeit mit Serena Savelli.
Besten Dank für die großzügige Unterstützung dieses Projektes an die Villa Romana und STIHL.
Portraitfoto: Nico Joana Weber, Werkfotos: Ralf Witthaus